Eine der seltensten und interessantesten karnivoren Pflanzen in Südwestaustralien ist Byblis gigantea. Sie ist nur noch in wenigen kleinen Gebieten rund um Perth, der Hauptstadt Westaustraliens, verbreitet. Ihre fadenförmigen Blätter sind über und über mit hunderten und tausenden gestielten Drüsen oder Tentakelhärchen versehen, an deren Ende immer ein kleiner Klebetropfen in der Sonne glitzert. Bei bestimmten Lichtverhältnissen schimmern diese Sekrettropfen in allen Regenbogenfarben. So hat Byblis den umgangssprachlichen deutschen Namen „Regenbogenpflanze“ (engl. Rainbow Plant) erhalten. Mit ihren Klebetröpfchen fängt sie Insekten ein und darf sich zu den karnivoren Pflanzen zählen.
Einige der südwestaustralischen Populationen scheinen leider in den letzten Jahren verschwunden zu sein. Dies kann leicht bei einer Erweiterung der Bebauung, Trockenlegung oder neuer Verwendung des Landes als Holz- oder Obstplantage etc. geschehen. Einer der früher bekannten Standorte befand sich zum Beispiel auf dem Gelände des internationalen Flughafens von Perth, der in den letzten zehn Jahren jedoch weiträumig ausgebaut wurde.
In einer kleinen, wohl dauerfeuchten Senke mit unterschiedlichen Myrtaceen und Gräsern haben die Byblis gigantea-Pflanzen Anfang November mit dem Austrieb begonnen und erste Knospen und Blüten erscheinen. Die Vegetation besteht unter anderem aus Homalospermum-Büschen, die auch für dauerfeuchte Cephalotus-Standorte charakteristisch sind. Das von vielen flachen Gräben und wassergefüllten Senken durchzogene Gelände geht im Randbereich in lichten Eukalyptuswald über. Der sehr sandige Boden besteht sicher zu 80 Prozent aus reinem weißen Quarzsand mit nur wenigen Humus-Anteilen.
Die Pflanzen treiben die neuen Blätter aus ihren zum Teil bis zu einem Zentimeter dicken, verholzten Stämmen oder direkt aus dem im Boden geschützt liegenden Wurzelrhizom. Der Austrieb besteht aus dutzenden sehr aufrecht oder fast senkrecht stehenden, gelblich-grünen und bis über 20 cm langen Blättern.
Die Tentakelhärchen auf den Blättern sind im Gegensatz zu denen der Drosera nicht beweglich. Sie reagieren nicht auf Bewegung oder festklebende Beutetiere. Byblis ist eine passive Klebefalle, sehr ähnlich wie Drosophyllum lusitanicum, das Taublatt, oder Triphyophyllum peltatum, das Hakenblatt aus Zentralafrika, das nur zu bestimmten Zeiten ihre karnivoren passiven Klebefallen ausbildet. Auch die Blütenstängel und selbst die Kelchblätter der Blüten sind bei dieser Art mit gestielten Drüsen bzw. Tentakelhärchen versehen.
Byblis gigantea und Drosophyllum lusitanicum ähneln sich im Habitus sehr, sind aber nicht miteinander verwandt. Das monotypische Drosophyllum wächst im Süden Portugals und Spaniens und im Norden von Marokko und gehört zur monotypischen Familie der Drosophyllaceae. Hier haben wir ein interessantes Beispiel für konvergente Entwicklung im Pflanzenreich: Das gleiche Fangprinzip hat sich auf zwei unterschiedlichen Kontinenten in gleicher Weise entwickelt. Beide Pflanzenarten sind nicht miteinander verwandt.
Byblis gigantea ist ein Endemit der Region um Perth und gehört zur Familie der Byblidaceae. Die Gattung Byblis umfasst derzeit acht Arten: zwei ausdauernde, mehrjährige Arten im Südwesten Australiens (B. gigantea und B. lamelata), sowie sechs einjährige Arten aus dem tropischen Norden Australiens (B. aquatica, B. filifolia, B. liniflora, B. guihoi, B. pilbarana und B. rorida).
Gegen Ende November stehen die meisten Byblis-Pflanzen in Hochblüte. Einige Pflanzen treiben mehr als zehn Blüten gleichzeitig aus. Ein toller Anblick. Beim Fotografieren stellten wir auch Unterschiede in der Form der einzelnen Blüten fest, die manchmal rundliche Blütenblättern, manchmal leicht gezackte aufwiesen. Häufig kommen auch überlappende oder freistehende Blütenblätter vor. Die Farbe variiert von Hell- bis Dunkelviolett. Ältere Blüten scheinen ein leichtes Streifenmuster auf den Blütenblättern zu entwickeln.
Kurios: Bei einer Byblis-Pflanze waren fast alle Stempel und Staubgefäße aus der Blüten abgefressen; wir wissen nicht, wer hier seinen Hunger gestillt hat.
Byblis gigantea und ihre Symbiosewanzen
Auf den Byblis-Pflanzen lebt die Wanzenart Setocoris bybliphilus mit den Pflanzen in einer Symbiose. Als einzige Insekten sind diese Tiere in der Lage, sich auf den Blättern und Stängeln zu bewegen, ohne sich in den klebrigen Tentakeltropfen zu verfangen. Setocoris ernähren sich von den gefangenen Insekten auf den Pflanzen. Sobald Byblis ein Insekt eingefangen hat, schwärmen die Setocoris heran und stechen das festklebende Insekt mit ihren Saugrüsseln an, um es auszusaugen. Ihnen wird ihre Verpflegung sozusagen frei Haus geliefert. Als Gegenleistung sind die Ausscheidungen der Setocoris, die die Wanzen direkt auf den Blättern und Stängeln hinterlassen, eine direkte Blattdüngung. Byblis benötigt daher keine Verdauungsenzyme, sondern kann die Nährstoffe direkt über die Spaltöffnungen und Absorptionsdrüsen auf den Blättern aufnehmen. Somit haben beide Partner etwas von dieser Gemeinschaft und man kann von einer echten Symbiose bzw. Mutualismus sprechen.
Die Setocoris-Wanzen sind sehr scheu und verschwinden bei Schattenwurf sehr schnell an der Basis der Pflanze. Hier ließen sich die vielen Larven gut fotografieren. Einzelne der nur wenige Millimeter großen Wanzen präsentierten sich schön auf den Blättern.
Als karnivore Begleitflora fanden wir in direkter Nähe den Zwergsonnentau Drosera pulchella und den großen Knollensonnentau Drosera gigantea, der ebenfalls feuchtere Böden bevorzugt. In der weiteren Umgebung, an etwas trockeneren Stellen, fanden sich auch die Sonnentau-Arten Drosera callistos, Drosera stolonifera, Drosera rosulata und Drosera squamosa. Auch einige der blau blühenden Orchideen Thelymitra graminea wuchsen in direkter Nachbarschaft zu Byblis.